Liebe Leserin, lieber Leser,

hier findest Du die 3 Artikel aus dem 1. Newsletter 2023 in voller Länge.

Viel Freude beim Lesen!

Schöne Bescherung

Schöne Bescherung

von Dr. Andrea Bindig

Drei Worte aus Karlsruhe haben nicht nur in Berlin ein politisches Erdbeben ausgelöst: „unvereinbar und nichtig“. Sie stammen vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Dessen acht Richterinnen und Richter haben nach einer mündlichen Verhandlung im Juni nun fünf Monate später am 15.11.2023 eine einstimmige Entscheidung verkündet (Az. 2 BvF 1/22). Die hat viele überrascht – selbst die „Klägerin“ CDU/CSU. Das Urteil betrifft das Haushaltsrecht des Grundgesetzes, also „die“ Kernkompetenz eines jeden Parlaments – ob im Bund oder in den Ländern. Nun steht fest: Haushaltseinnahmen dürfen ausnahmsweise wegen einer Notlage – wie der Corona-Pandemie – über Kredite generiert werden. Kreditermächtigungen, also die Möglichkeit zur Aufnahme von Krediten, müssen aber jährlich im Haushalt beschlossen werden. Sie dürfen nicht und schon gar nicht rückwirkend in einem „Sondertopf“ neben dem jährlich zu beschließenden Haushalt „angespart“ werden, um sie erst später – also über das Haushaltsjahr hinaus – zu nutzen. Weil das „Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021“ diese Vorgaben nicht erfüllt, stellte das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen das Grundgesetz fest. Es ist der erste gerichtlich festgestellte Verfassungsverstoß dieser Art überhaupt, seit ab August 2009 die „Schuldenbremse“ Eingang in das Grundgesetz fand. Karlsruhe hat hier „Neuland“ betreten. Betroffen sind nun viele Milliarden Euro aus dem Sondertopf Klima- und Transformationsfonds. Betroffen sind weitere Sondertöpfe, wie der Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Auch dieser wurde im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie geschaffen, bezweckt zwischenzeitlich aber die Finanzierung von Maßnahmen gegen die Energiekrise. Nicht zuletzt betroffen sind auch Sondertöpfe der Bundesländer. Und damit einher geht die Unsicherheit, ob geplante und mitunter schon zugesagte Gelder für die politisch wichtigen Investitionen vor allem in eine klimagerechte und sozial abgefederte Transformation unserer Gesellschaft und Wirtschaft noch zur Verfügung stehen. Die Auswirkungen sind bereits auf kommunaler Ebene zu spüren, wie das Beispiel der Schwimmbad-Sanierung in Adelebsen zeigt (siehe Artikel im Göttinger Tageblatt vom 8.12.2023, Seite 17).

Wie kam es also zu dieser Entscheidung, was besagt sie und was folgt aus ihr?

Zunächst einmal: Der Haushalt des Bundes – wie auch der eines jeden Bundeslandes – wird durch ein Parlamentsgesetz beschlossen. Dieses Gesetz muss die Artikel 109 und 115 Grundgesetz beachten. Beide Artikel wurden im Jahr 2009 durch CDU/CSU und SPD im Bundestag und dem Bundesrat mit der im Grundgesetz bestimmten 2/3-Mehrheit inhaltlich geändert. Sie regeln das, was landläufig als „Schuldenbremse“ bezeichnet wird. Die „Schuldenbremse“ war aus Sicht des damaligen Gesetzgebers neben europarechtlichen Vorgaben eine Reaktion auf die unter der alten Rechtslage stark angestiegene Schuldenlast. Der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte stieg damals auf zuletzt 70 Prozent der jährlichen Wertschöpfung. Nach alter Rechtslage schrieb Artikel 109 – knapp formuliert – lediglich vor, dass die Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen hat. Artikel 115 regelte, dass Einnahmen aus Krediten möglich sind. Die Neuverschuldung war der Höhe nach begrenzt auf die im Haushalt veranschlagten Ausgaben für Investitionen. Eine Ausnahme davon war bei „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ zulässig. Auch für Sondervermögen des Bundes waren Ausnahmen möglich. Seit 2009 gilt nun im Grundsatz, dass der Haushalt ohne Einnahmen aus Krediten auskommen muss, wobei dies in Abhängigkeit zur konjunkturellen Entwicklung steht. Zulässig ist eine jährliche Neuverschuldung in Höhe von maximal 0,35 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Über diese Kreditobergrenze darf der Haushaltsgesetzgeber nach dem Wortlaut von Artikel 109 und 115 nur in den folgenden Fällen hinausgehen: im Falle von „Naturkatastrophen“ – also bei Naturereignissen wie Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre, Massenerkrankungen – oder im Falle von „außergewöhnlichen Notsituationen“ – also besonders schweren Unglücksfällen aufgrund von menschlichem oder technischem Versagen oder absichtlich ausgelöst durch Dritte sowie bei einer plötzlichen Beeinträchtigung der Wirtschaftsabläufe ausgelöst durch einen exogenen Schock (wie bei der Finanzkrise) oder bei Ereignissen von positiver historischer Tragweite (wie die Deutsche Wiedervereinigung). Allen Fällen gemein muss nach dem Wortlaut der Artikel 109 und 115 sein, dass sie sich „der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. Seit 2009 gestaltet das Grundgesetz also viel umfassender als in den vorhergehenden Jahrzehnten das Haushaltsrecht des Bundestags aus. Es begrenzt und verschärft die Möglichkeit von Krediten. Und es macht detaillierte Vorgaben für Ausnahmen. Die Verfassungen der Bundesländer haben ähnliche Regelungen. Das alles hat nicht nur Folgen für den Haushaltsgesetzgeber, sondern auch für die Reichweite der gerichtlichen Überprüfbarkeit der Haushaltsgesetze durch die Landesverfassungsgerichte und durch das Bundesverfassungsgericht. Letzteres hat nun seine Rechtsprechung an die seit August 2009 bestehende Rechtslage angepasst und geändert.

Rechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht setzt voraus, dass Betroffene rügen, dass staatliches Handeln die Verfassung verletze. Das Gericht wird in etwa 95 Prozent der eingegangenen Verfahren durch Bürgerinnen und Bürger in Anspruch genommen, die eine Verletzung ihrer Grundrechte durch eine gerichtliche Entscheidung oder durch ein Gesetz mittels der Verfassungsbeschwerde beklagen. Parallel dazu ist das Gericht für viele weitere Verfahren zuständig. So können Abgeordnete des Bundestags ein Gesetz ihres Parlaments „abstrakt“ gerichtlich überprüfen lassen, ohne dass sie selbst in ihren Rechten als Abgeordnete „konkret“ betroffen sind. Voraussetzung für eine solche „abstrakte Normenkontrolle“ ist, dass die Anzahl der Abgeordneten mindestens ein Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestags beträgt. Von dieser Möglichkeit haben alle der 197 Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Gebrauch gemacht. Sie waren der Auffassung, dass das „Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021“ gegen Artikel 109 und 115 Grundgesetz verstößt und daher nichtig ist. Dieses Gesetz hatte der Bundestag – ohne auf Widerstand im Bundesrat gestoßen zu sein – im Februar 2022 beschlossen. Damit sollten rückwirkend bereits beschlossene Kreditermächtigungen Gegenstand des Haushalts 2021 werden und für die Zukunft weiter nutzbar bleiben: 60 Milliarden Euro. Der Bundestag übertrug diese Ermächtigungen zur Kreditaufnahme an ein unselbstständiges Sondervermögen des Bundes – den im Jahr 2011 durch Gesetz errichteten Energie- und Klimafonds. Von den Ermächtigungen sollte aber erst in den Folgejahren Gebrauch gemacht werden. Der ursprüngliche Fonds wurde zwischenzeitlich gesetzlich zum Klima- und Transformationsfonds weiterentwickelt. Aus ihm werden Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, Maßnahmen zur Transformation der deutschen Wirtschaft und nachholende Investitionen, zB bei der energetischen Gebäudesanierung, der Sanierung der Bahn oder der Ansiedlung von Halbleiterwerken, finanziert. Es geht also um Wesentlich mehr als Geld.

Karlsruhe hat dieses „Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021“ nun nicht nur für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, sondern für nichtig. Damit entfällt die Wirkung des Gesetzes und zwar so, als wäre es nicht existent. Für die gesetzgebende Gewalt ist das der größtmöglich anzunehmende Eingriff rechtsprechender Gewalt. Auch mit Blick darauf kennt Karlsruhe durchaus noch eine andere Möglichkeit, bei der das Bundesverfassungsgericht die betroffene Regelung lediglich für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Das Gesetz bleibt dann in seinem Bestand unberührt, eine weitere Anwendung kann möglich bleiben, der Gesetzgeber wird zur Ausbesserung und Neuregelung für die Zukunft verpflichtet. Die dafür in der Rechtsprechung des Gerichts entwickelten Voraussetzungen sah der Zweite Senat aber nicht als gegeben an. Eine nähere Begründung dazu fehlt. Bemerkenswert bleibt, dass die Entscheidung auch insoweit einstimmig erging.

In der Sache verdeutlicht die Entscheidung, dass das Gericht den Gesetzgeber des Jahres 2009 ernst und in die Pflicht nimmt, das heißt vor allem CDU/CSU und SPD, die die Änderung von Artikel 109 und 115 Grundgesetz zu einer „Schuldenbremse“ im Wesentlichen zu verantworten haben. Die Verfassungsänderung 2009 hatte nun auch zur Folge, dass das Bundesverfassungsgericht in Teilen umfassender als noch unter der alten Rechtslage prüft, ob der Haushaltsgesetzgeber die Voraussetzungen von Artikel 109 und 115 beachtet. Jedes künftige Haushaltsgesetz muss dieser Prüfung Stand halten, sollte sich an Artikel 109 und 115 nichts ändern. Der Zweite Senat spricht hier von einer „erhöhten verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte“, die mit der 2009 durch den Gesetzgeber selbst veranlassten verfassungsrechtlichen Begrenzung der Aufnahme von Krediten korrespondiere. Damit stärkt das Gericht zugleich seine eigenen „Mitsprache- und Kontrollmöglichkeiten“. In Abhängigkeit zu den Vorgaben des Grundgesetzes ist genau das aber auch seine Aufgabe, denn die Richterinnen und Richter haben die Verfassung – so wie sie besteht – anzuwenden und auszulegen. Unter der alten Rechtslage definierte das Gericht die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte aber wesentlich eingeschränkter. Denn die damalige Rechtslage bot dem Gesetzgeber größere Spielräume. Für die Kreditaufnahme vorgegeben war eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“. Karlsruhe überprüfte nur, ob der Haushaltsgesetzgeber dieses nachvollziehbar und vertretbar dargelegt hatte. Mit der Verfassungsänderung 2009 hat der Gesetzgeber die Regeln für die Kreditaufnahme konkreter gefasst und sachlich verschärft. Das hat nun auch zu einer Änderung der Rechtsprechung und zu einer Erweiterung der Kontrolldichte des Gerichts geführt, jedenfalls soweit das Grundgesetz die Voraussetzungen festlegt, wann eine Notlage – „Naturkatastrophe“ und „außergewöhnliche Notsituation“ – vorliegt und in welchem zeitlichen Rahmen von Kreditermächtigungen Gebrauch gemacht werden darf.

Was besagt die Entscheidung?

Erstens dürfen Kreditermächtigungen, die der Gesetzgeber wegen einer Notlage – zB der Corona-Pandemie – verfassungsrechtlich über die konjunkturelle Kreditobergrenze von 0,35 Prozent hinaus zulässig beschlossen hat, nur für diese Notlage verwendet werden. Das Gericht betont, dass eine „Notlage“ nicht bei bloßen Auf- und Abschwungbewegungen eines zyklischen Konjunkturverlaufs vorliegt. Krisen, die lange absehbar waren oder gar von der öffentlichen Hand verursacht worden sind, fallen ebenfalls nicht unter die Notlage und dürfen nicht mit Notkrediten finanziert werden. Ob eine notlagenbedingte Ausnahme vorliegt, ist nun verfassungsgerichtlich voll überprüfbar. Auch deshalb dürften manche in der Politik zögern, für den Haushalt 2024 eine solche Notlage anzunehmen. Denn das hängt nicht zuletzt von einer überzeugenden Begründung des Haushaltsgesetzgebers – also von der Politik – ab.

Zweitens muss zwischen der Notlage und der Überschreitung der Kreditobergrenzen ein „sachlicher Veranlassungszusammenhang“ bestehen. Das ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von Artikel 109, 115 Grundgesetz. Das Gericht legt dazu die Regelungen aus und betont wiederum den Grundsatz, dass eine strukturelle Neuverschuldung allgemein verboten ist und die geregelten Ausnahmen dazu klar abzugrenzen sind. Auch die alte Rechtslage, so das Gericht, habe einen solchen Veranlassungszusammenhang vorausgesetzt. Karlsruhe fordert deshalb auch nach der neuen Rechtslage, dass die ausnahmsweise mögliche Kreditaufnahme im Einzelnen sachlich gerade auf die konkrete Notsituation und den Willen des Gesetzgebers, diese zu bewältigen, rückführbar sein muss. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. Dieser Spielraum wird umso enger, je weiter das auslösende Ereignis in der Vergangenheit liegt. Denn je mehr Zeit zur Entscheidungsfindung gegeben ist, desto abschätzbarer sind die Folgen. So soll verhindert werden, dass die Überschreitung der Kreditobergrenze Ausnahme bleibt und nicht zur Regel wird, was gerade an der alten Rechtslage bemängelt wurde. Das Bundesverfassungsgericht überprüft hierbei aber lediglich die Nachvollziehbarkeit und Vertretbarkeit der Einschätzungen und Beurteilungen des Haushaltsgesetzgebers.

Doch dafür muss drittens die Politik die Entscheidung zur Kreditaufnahme belastbar begründen. Diese Anforderungen steigen, je länger der Gesetzgeber von der Möglichkeit notlagenbedingter Kreditmittel Gebrauch macht. Erst auf dieser Grundlage kann das Gericht dann seinerseits überprüfen, ob die Beurteilung und Einschätzung des Gesetzgebers zum „sachlichen Veranlassungszusammenhang“ nachvollziehbar und vertretbar ist.

Viertens bekräftigt die Entscheidung das jährliche Berechnungssystem der Schuldenbremse. Notlagenbedingte Kreditermächtigungen sind auf ein konkretes Rechnungsjahr und eine konkrete Höhe bezogen. Buchhalterisch darf das nicht voneinander entkoppelt werden. Hält die Notlage an, muss der Haushaltsgesetzgeber für das neue Jahr einen erneuten Beschluss über die dann neu ermittelte Höhe fassen und außerdem die unter erstens bis drittens genannten Vorgaben beachten. Die in einem Haushaltsjahr gefassten notlagenbedingten Kreditermächtigungen müssen also grundsätzlich in diesem Jahr umgesetzt werden, das heißt die Kredite sind in diesem Jahr aufzunehmen. Danach verfallen sie. Der Gesetzgeber darf dies nicht durch Nebenhaushalte bzw „Sondertöpfe“ umgehen. Auch hier prüft das Bundesverfassungsgericht streng.

Fünftens muss der Haushalt bereits vor Beginn des Rechnungsjahres festgestellt werden. Das zielt auf die Sicherstellung der Budgethoheit des Parlaments, also seine „Kernaufgabe“. Denn über den Haushalt lenken und kontrollieren die gewählten Volksvertreterinnen und -vertreter das, was im Haushaltsjahr politisch bewirkt werden kann. Artikel 110 Absatz 2 Grundgesetz lässt da schon vom Wortlaut „vor Beginn des ersten Rechnungsjahres“ keinen Spielraum. Korrekturen nach Ablauf des Rechnungsjahres dürfen diesem Rechnungsjahr deshalb nicht nachträglich zugeschrieben werden. Sie gehören in den Haushalt des Folgejahres. Hier wurden die Haushaltskorrekturen im Dezember 2021 angestoßen und sollten für den Haushalt 2021 wirken. Tatsächlich abgeschlossen war das Gesetzgebungsverfahren aber erst im Februar 2022. Dann – so Karlsruhe – hätten die Korrekturen auch für den Haushalt 2022 beschlossen werden müssen. Das geht nun rückwirkend auch nicht mehr. Ob trotzdem ein derartiges Vorgehen gerechtfertigt sein könnte, ließ das Bundesverfassungsgericht offen. Hier gibt es also möglicherweise für zukünftige Haushaltsgesetze einen Spielraum.

In jedem Fall bietet dies Anlass für ein erneutes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenn sich genug Abgeordnete finden, „die nach Karlsruhe gehen“. Und das dürfte gar nicht mehr lange dauern. Denn Friedrich Merz lässt prüfen, ob der „Sondertopf“ Wirtschaftsstabilisierungsfonds, aus dem die Gas- und Strompreisbremse für 2023 und 2024 finanziert wird, nun nach den Vorgaben des Haushaltsurteils verfassungswidrig ist. Dafür könnte sprechen, dass für 2024 bisher keine Haushaltsentscheidung getroffen wurde. Zudem weist dieser Fonds nur pauschal Kreditermächtigungen aus. In Höhe von 200 Milliarden Euro.

„Schöne Bescherung!“ – Und nun?

Die Folgen des Urteils für die Haushaltspraxis in Bund und Ländern sind noch nicht abschließend ausgelotet. Das zeigen die aktuellen Diskussionen. In schwierigen Zeiten müssen aber Bund und Länder zu einer sicheren Haushaltspraxis finden. Regelmäßige Klagen gegen den Bundeshaushalt oder die Länderhaushalte würden das Staatshandeln blockieren. Ein schwieriger Punkt bei der Auslegung des Urteils ist der strenge Verweis Karlsruhes auf die – unter viertens und fünftens skizzierte – Jährlichkeit, Jährigkeit, Fälligkeit und Vorherigkeit des Haushalts. Das ist – buchhalterisch betrachtet – die Festschreibung der Kameralistik. Auf kommunaler Ebene ist dieses System längst abgelöst durch die Doppik. Anders als die kamerale Buchführung legen doppisch gebuchte Haushalte den Wertverzehr der öffentlichen Infrastruktur in Form von Abschreibungen offen. So werden bereits absehbare zukünftige finanzielle Verpflichtungen – zum Beispiel bezogen auf Investitionen – sichtbar. Hängt das Grundgesetz hier hinterher? Die strenge kameralistische Auffassung Karlsruhes reibt sich jedenfalls mit dem Ablauf und der Finanzierung von mittel- bis langfristigen Sanierungs- und Transformationsprozessen. Hier muss die Politik eine Antwort finden. Und zwar eine solche, die bei einer erneuten Klage das Bundesverfassungsgericht nicht zu einer weiteren Einengung der Gesetzgebung „provoziert“.

Unabhängig von dieser Antwort auf das Urteil bietet sich auch die Modifikation der „Schuldenbremse“ an. Die plakativ vorgetragene Abschaffung scheidet wohl aus, weil es an der für eine Grundgesetzänderung erforderlichen 2/3-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat fehlen dürfte. Entgegen stehen auch europarechtliche Regelungen, von denen sich die Bundesrepublik nicht einfach lösen kann. Gangbar ist jedoch der Weg, die 0,35-Prozent-Regel anzuheben, worauf die Erfinder der Schuldenbremse sowie zahlreiche Vertreter der Volkswirtschaftstheorie schon hingewiesen haben. Der Wandel der Verhältnisse seit 2009 erlaube eine Anpassung an neue Lagen und Herausforderungen. Das Prinzip bleibt dann gewahrt, blockiert jedoch nicht dynamisches Staatshandeln. Das wäre dann wirklich eine schöne Bescherung.

Andrea Bindig
Justiz
Bundesverfassungsgericht
Wir machen Europa stark und sozial!

Maximilian Schmidt, Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Celle und „Huckepack-Kandidat“ von Bernd Lange zur Europawahl, hat sich während unserer Beiratssitzung am 18. Dezember 2023 den Fragen der Genossinnen und Genossen gestellt.

Was ist eigentlich ein „Huckepack-Kandidat“?

Die sogenannte Huckepack-Kandidatur ist eine Besonderheit:

Zieht der Direktkandidat in das EU-Parlament ein, scheidet aber vorzeitig aus, so rückt der/die Huckepack-Kandidat*in nach und nicht die Person auf dem nächsten Listenplatz. Dadurch wird sichergestellt, dass ein regionaler Vertreter im Parlament verbleibt.

Während seines Impulses zur anstehenden Europawahl am 9. Juni 2024 konzentrierte sich Maximilian auf fünf wesentliche Punkte:

1. Weshalb wir kämpfen

„Während die Rechten ein Europa des Nationalismus, der Abschottung, der Demontage von Demokratie und Rechtsstaat und Liberale und Konservative nur einen sog.

Binnenmarkt-Europa wollen, steht für die Sozialdemokratie Europa selbst nicht zur Disposition. Seit 1863 sind wir das Bollwerk gegen Rechts, seit 1925 DIE Partei, die die Vereinigten Staaten von Europa will. In Zeiten multipler Krisen sind wir die politische Kraft, die Sicherheit im Wandel organisiert. Dafür kämpfen wir.“

2. Wir kämpfen für ein Europa der guten Arbeit

„Der Wandel zur klimaneutralen Wirtschaft ist eine große Chance für Europa.

Diese Transformation schaffen wir aber nur, wenn alle dabei mitkommen - das geht nur mit mehr Weiterbildung, mehr Tarifbindung, mehr Mitbestimmung und mehr Zukunftsinvestitionen.

Wir müssen in Europa den Beweis antreten, dass wir eine klimaneutrale Wirtschaft mit sicheren Arbeitsplätzen für alle schaffen können.“

3. Wir kämpfen für ein Europa der Menschen statt nur der Märkte

„Der kleinste gemeinsame Nenner der EU darf nicht das Marktprinzip bleiben.

Stattdessen brauchen wir ein soziales Europa - mit Maßnahmen gegen Steuerdumping für Konzerne und Vermögende und einem Schutzschirm für kommunale Daseinsvorsorge und gemeinnützige Angebote. Europa ist für mich mehr als nur Binnenmarkt - eben eine Union, in der die Menschen am meisten zählen.“

4. Wir kämpfen für ein Europa, das Frieden, Freiheit und Recht ausstrahlt

„Unsere Demokratie muss verteidigt werden, im Inneren wie im Äußeren – dafür müssen wir Menschen wirksam vor Desinformation und Verschwörungstheorien schützen und neue Technologien wie Künstliche Intelligenz wirksam regulieren. Und wir müssen gerade die junge Generation ganz neu für ein geeintes Europa gewinnen. Dafür stehe ich: Dass die Europäische Union auch künftig ihre Rolle als Friedensmacht in der Welt wahrnimmt.“

5. Wir kämpfen für ein starkes Niedersachsen in Europa

„Unser Land profitiert enorm von der EU. Damit das so bleibt, müssen wir die Weichen für die kommenden Förderperioden richtig stellen, damit die Regionen in Niedersachsen - sowohl in den Städten als auch im ländlichen Raum - an den EU-Förderfonds weiter wirksam teilhaben können. Aus meiner politischen Erfahrung weiß ich: Europapolitik ist mehr denn je Politik für unsere Heimat.“

Am 28. Januar 2024 entscheidet die Europadelegiertenkonferenz der SPD in Berlin über das Wahlprogramm und das Team zur Europawahl am 9. Juni 2024.

Unser Antrag „Gründung einer europäischen Versammlung für die Demokratisierung Europas“, den wir auf unserem Unterbezirksparteitag Anfang Oktober beschlossen haben, wird dort ebenfalls beraten.

Nach der Europadelegiertenkonferenz startet die „Aufwärm-Phase“ des Wahlkampfes bis Mitte April. Bundesweit werden Mobilisierungsevents auf den Wahlkampf einstimmen.

Ab Mitte April startet dann die „Heiße Phase“ mit zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen. Ganz sicher wird es auch in Göttingen die eine oder andere Veranstaltung geben.

Ab Februar steht das Wahlkampf-Material zur Verfügung. Die Wesselmann-Tafeln im Landkreis werden vom UB-Büro organisiert.

Wir freuen uns auf einen engagierten Wahlkampf mit euch!

Max Schmidt
Europakarte
Europaparlament
Frohe Weihnachten

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich hoffe, dass Ihr alle diese Zeilen in voller Vorfreude auf die bevorstehenden Feiertage lest. Das Jahr 2023 neigt sich dem Ende zu, und es ist an der Zeit, innezuhalten und auf das Erreichte zurückzublicken.

Im zurückliegenden Jahr haben wir als SPD-Unterbezirk Göttingen viel bewegt und uns aktiv in die politischen Geschehnisse eingebracht. Gemeinsam konnten wir zahlreiche Veranstaltungen organisieren, Diskussionen führen und Ideen entwickeln, um unsere Ziele voranzubringen. Bei unserem Unterbezirksparteitag in Dransfeld am 7. Oktober haben wir einen jungen, aktiven und motivierten Vorstand gewählt.

Eine der ersten Entscheidungen des neuen Vorstands ist sogar historisch: Einstimmig wurde beschlossen, unserem langjährigen und leider viel zu früh verstorbenen Unterbezirksvorsitzenden Thomas Oppermann das Haus zu widmen, in dem er über viele Jahre bis zu seinem Tod 2020 die politischen Geschicke der Partei lenkte. Am 27. April 2024 (dem 70. Geburtstag von Thomas) wird das Parteihaus in der Nikolaistraße 30 den Namenszusatz: „Thomas- Oppermann- Haus“ erhalten. Nähere Informationen hierzu bekommt Ihr rechtzeitig.

Anfang Dezember waren Karola Margraf, Stephan Liebing und Mario Teuber für den Unterbezirk Göttingen beim Bundesparteitag in Berlin dabei. Ihre Eindrücke bestätigen das, was durch die Medien meist nicht beschrieben wird: Die Partei lebt! Wir schreiben uns nicht ab, und wir werden weiterhin DIE Stimme für einen starken Sozialstaat sein.

Auch wenn wir bereits viel erreicht haben, dürfen wir nicht nachlassen. Die politische Landschaft verändert sich stetig und es ist wichtig, dass wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten weiterhin aktiv bleiben. Das kommende Jahr wird von entscheidender Bedeutung sein, insbesondere mit Blick auf die Europawahl.

Diese Europawahl bietet uns die Möglichkeit, unsere Vision einer solidarischen und gerechten Europäischen Union weiter voranzutreiben. In Zeiten des erstarkenden Nationalismus und der zunehmenden Spaltung innerhalb Europas müssen wir als SPD ein starkes Signal setzen. Wir haben die Pflicht, für ein Europa kämpfen, das auf Zusammenarbeit statt auf Abschottung setzt, das soziale Gerechtigkeit fördert und das den Klimaschutz ernst nimmt.

Lasst uns also gemeinsam dafür kämpfen, dass die Europawahl 2024 zu einem Erfolg für die Sozialdemokratie wird. Lasst uns unsere Ideen und Visionen in den Vordergrund stellen und mit Überzeugung für eine bessere Zukunft eintreten. Gemeinsam können und werden wir viel bewegen und einen positiven Wandel in Europa herbeiführen.

Dafür brauchen wir Eure Unterstützung. Jede und jeder einzelne von Euch kann einen Beitrag leisten, sei es durch aktive Mitarbeit in unseren Ortsvereinen, durch das Werben neuer Mitglieder oder durch das Engagement im Wahlkampf. Gemeinsam können wir viel bewegen und die Zukunft gestalten.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen für das Engagement und die Unterstützung bedanken. Ohne Euch ist all dies nicht möglich.

In diesem Sinne wünsche ich Euch und Euren Familien frohe und besinnliche Weihnachtstage. Nutzt die Zeit, um Kraft zu tanken und Euch auf das kommende Jahr vorzubereiten. Die Zeit mit der Familie ist kostbar, darum genießt sie – besonders über die Feiertage.

Wir sehen uns dann im Jahr 2024!

Weihnachtliche Grüße

Euer Andreas

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