Die Sozialdemokraten in Südniedersachsen lehnen Überlegungen im CSU-geführten Bundesverkehrsministerium (BMVI) geschlossen ab, den ICE-Stundentakt zwischen dem Systemhalt Göttingen und der Hauptstadt Berlin auszudünnen. Ein solcher Abbau würde der 2015 von der Deutschen Bahn ausgerufenen Fernverkehrsoffensive widersprechen und die Fahrgäste hart treffen, pflichtet der Fahrgastverband Pro Bahn bei.

Der „Zielfahrplan 2030“ des von Minister Alexander Dobrindt (CSU) geführten Ministeriums weist die ICE-Verbindung Berlin-Wolfsburg-Braunschweig-Hildesheim-Göttingen-Frankfurt und dann weiter Richtung Süddeutschland, nur noch im Zwei-Stunden-Takt aus, statt wie bisher mit einer stündlichen Verbindung. Auch wenn die Planungen des Ministeriums bis ins Jahr 2030 reichen: „Wehret den Anfängen“, mahnt Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD). Die Oberhäupter der betroffenen Städte Göttingen, Hildesheim, Braunschweig und Wolfsburg hätten beschlossen, „gemeinsam zu intervenieren“, sagte Köhler dem Göttinger Tageblatt.

Die Oberbürgermeister der großen Städte in Niedersachsen hatten sich verärgert über die BMVI-Pläne gezeigt: „Es kann nicht Aufgabe eines Bundesministeriums sein, den Fernverkehrszugang von rund 1,5 Millionen Einwohnern allein in Niedersachsen zu beschneiden“, sagte Klaus Mohrs (SPD), Vorsitzender der Oberbürgermeisterkonferenz und Oberbürgermeister Wolfsburgs. Die seit Jahren guten Verbindungen mit ICE- und IC-Zügen in Göttingen, Hildesheim, Braunschweig und Wolfsburg seien wichtige infrastrukturelle Argumente und Grundlage für langfristige Entscheidungen von Wirtschaftsunternehmen und Bürgern.

Für Göttingens Landrat Bernhard Reuter (SPD) ist der Ein-Stunden-Takt an der ICE-Linie ein „wesentlicher Faktor, die zentrale und verkehrsgünstige Lage Göttingens nutzbar zu machen – für die Stadt selbst aber auch für jeden, der das Potenzial der Region nutzen möchte, um hier zu arbeiten oder zu leben“. Daher setze er sich gegenüber dem Ministerium und der Deutschen Bahn „mit Nachdruck“ für seinen Bestand ein. Der ICE-Systemhalt Göttingen sei „von großer Bedeutung für Göttingen als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort und als Oberzentrum einer Region mit großem Potenzial“. Zeit sei eine knappe Ressource, das gelte für Unternehmen und Institutionen ebenso wie für Menschen in einer mobilen Gesellschaft.

Der Göttinger Bundestagsabgeordnete Thomas Oppermann (SPD) wird nach einem Gespräch mit einem Bahn-Vorstand noch deutlicher: „Diese langfristige Planung aus dem Hause Dobrindt muss vom Tisch.“ Und dass der Bundestag für eine Reduzierung stimme, glaube er nicht, so Oppermann. Für Göttingen sei eine stündliche Anbindung nach Berlin und Frankfurt „existenziell“. Mit einem ausgedünnten ICE-Takt würde es nicht gelingen, mehr Menschen von der Straße auf die Schiene zu bringen. Das gelte besonders für Langfristplanungen, die den „Deutschland-Takt“ zum Ziel haben.

Als Alarmzeichen sieht auch die Göttinger Landtagsabgeordnete Gabriele Andretta die Pläne des Bundesverkehrsministeriums. Sie verweist darauf, dass Minister Dobrindt es schon in den zurückliegenden Jahren abgelehnt hat, den letzten verbliebenen eingleisigen Streckenabschnitt zwischen Braunschweig und Wolfsburg zweigleisig auszubauen. „Die Verspätungsfalle muss wegen Dobrindts Weigerung nun mit massiven Zuschüssen des Landes Niedersachsen geschlossen werden. Ohne diese Zusagen von Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies und Ministerpräsident Stephan Weil würde die Weddeler Schleife nicht ausgebaut“, kritisiert Andretta.

Über die neuen Pläne ist die Bahn nach Auskunft von Bahn-Sprecherin Sabine Brunkhorst im Gespräch mit dem Ministerium. Es handele sich um eine Studie des BMVI, die ohne Mitwirkung der DB Fernverkehr AG erstellt wurde, betont sie. Brunkhorst gibt vorerst Entwarnung für den ICE-Halt Göttingen: „Seitens der DB Fernverkehr ist die heutige Angebotsfrequenz der ICE-Züge auf der Achse Göttingen-Hildesheim-Braunschweig in den mittelfristigen Konzepten unverändert vorgesehen.“

Gerd Aschoff, Sprecher des Pro-Bahn-Regionalverbandes Süd-Niedersachsen, hält die Planungen aus dem Ministerium in keiner Weise abgestimmt. Entscheidender ist für ihn, dass mit der Inbetriebnahme der neuen Trasse München-Erfurt-Berlin, die im Dezember mit der Fahrplanumstellung ans Netz geht, sich für Südniedersachsen die aktuellen Anschlüsse vom ICE auf Regionalzüge erheblich verschlechtere. Ankunftszeiten von ICE verschieben sich in Göttingen, so könnten etwa Metronom-Züge nicht mehr erreicht werden, sagte Aschoff. Das habe die Politik bislang ignoriert.

Die zehn Milliarden teuere, neue Trasse München-Erfurt-Berlin verkürzt die Fahrzeit zwischen München, Nürnberg, Erfurt und Berlin ab Dezember 2017 von sechs auf vier Stunden. Sie ist weiträumige Konkurrenz zur ICE-Strecke über Braunschweig und Wolfsburg. Ob diese weiterhin wirtschaftlich ist, will die Bahn nun prüfen. Das Ministerium kommt derzeit zu dem Schluss, dass dem nicht so ist.

Ice Berlin
So soll es sein, so soll es bleiben: Die direkte ICE-Verbindung zwischen Göttingen und Berlin ist stundenweise getaktet.