Es gibt immer noch zu viele gesetzliche Krankenkassen in Deutschland. Das war zumindest in der Diskussion gestern die überwiegende Meinung der rund 40 Mitglieder der SPD-Arbeitsgemeinschaft „60 plus – Region am Harz“ in Herzberg, nachdem Dr. Andreas Philippi das deutsche Gesundheitssystem in groben Zügen erläutert hatte. Der Arzt und Kreistagsabgeordnete ist auch Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl in Herzberg.

Der Referent begann mit Reichskanzler Otto von Bismarck, der als Gründer des solidarischen Sozialversicherungssystems gilt, erläuterte die historische Entwicklung und die heutige Bedeutung für die Gesellschaft. Von Bismarck hatte 1883 ursprünglich die Absicht, die Arbeiter angesichts sich anbahnender Unruhen mit der sozialen Absicherung stillzuhalten. Seitdem habe das System alle Krisen gemeistert, wenn auch immer wieder Korrekturen nötig waren, erklärte Philippi.

Doch angesichts der älter werdenden Gesellschaft und der immer hochwertigeren Medizin gerate das System aus den Fugen. Wenn immer weniger Arbeitnehmer in das System einzahlten für immer mehr Senioren, die eine medizinische Versorgung benötigen, zudem die immer spezieller werdende Medizin die Kosten ansteigen lasse, seien kleine Korrekturen nicht mehr ausreichend. „Ein Mädchen, das heute geboren wird, wird statistisch gesehen 102 Jahr alt werden“, veranschaulichte er die Entwicklung.

Zuhörer 60 plus
Aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer trotz des an sich "trockenen" Themas

Geduldig, aber auch aufmerksam folgten die Zuhörer dem Vortrag. Sie brachten die Bürgerversicherung ins Gespräch, bei der es keinen Unterschied zwischen Privat- und gesetzlich Versicherten gibt. Auch Beamte und Selbstständige würden dort einzahlen, bei der Behandlung seien alle gleich. Doch dass das auch nicht so ganz unproblematisch sei, erklärte Philippi. Denn einerseits müsse man die privaten Versicherungen mit hineinnehmen, was „ein langer juristischer Prozess“ sein werde, da die Privatversicherten Anrechte gegenüber ihrer Versicherung erworben hätten, zudem sah der Arzt eine größere Gefahr der Korruption, weil Patienten für bestimmte Behandlungen die Wartezeit auf Termine mit „Spenden“ verkürzen wollten. „Die Bürgerversicherung verlangt den idealen Menschen“, so der Referent.

Helmut Minne und Andreas Philippi
Dank von Helmut Minne (l.) an den Referneten Andreas Philippi

Am Ende stand die hohe Zahl der gesetzlichen Krankenversicherungen im Mittelpunkt der Kritik. 118 Krankenkassen mit eigener Verwaltung, eigener Selbstverwaltung und Aufsichtsgremien seien zu viel. Für einen Wettbewerb unter den Kassen seien etwa 18 Kassen immer noch genug, so die Mehrheit der Senioren. Denn die Verwaltung des Gesundheitssystems verschlingt derzeit rund ein Viertel der Einnahmen. Allerdings ist die Zahl der Kassen schon drastisch zurückgegangen: Gab es 1931 noch 6000 Krankenkassen, waren es 1995 nur noch 968, im Jahr 2005 noch 267 und derzeit 118 Kassen.