Im hohen Alter von 94 Jahren ist am 16. Juli 2016 der Mündener Gewerkschafter, Bürgermeister und SPD-Landtagsabgeordnete Albert Fiege gestorben. Im Namen zahlreicher Mitstreiter und Freunde hielt der ehemalige Mündener Stadtdirektor und spätere Regierungspräsident Karl-Wilhelm Lange als politischer Weggefährte eine bewegende Trauerrede, die wir hier im Wortlaut dokumentieren.

Albert Fiege gehörte dem Geburtsjahrgang 1921 an und nahm vom ersten bis zum letzten Tage als Soldat am Zweiten Weltkrieg teil. Die meisten seiner Freunde und der größte Teil seines Jahrgangs verloren in diesem Krieg ihr junges Leben. Albert Fiege aber überlebte und kehrte mit einer schweren Kriegsverletzung zurück.

Doch Wehleidigkeit oder Selbstmitleid gehörten nicht zu Albert Fieges Charakter. Er ließ sich durch seine Kriegsverletzung und auch durch die Umstände jener Jahre, die seinen Wunsch zu studieren und Lehrer zu werden, zunichte gemacht hatten, nicht entmutigen.

Sein Überleben betrachtete er als das große Glück seines Lebens. Es spornte ihn an, und er betrachtete es als Verpflichtung, seine Kräfte für die Gesellschaft, für die Hinterbliebenen, die Kriegsbeschädigten und Benachteiligten einzusetzen. Und so engagierte er sich unter dem prägenden Einfluss des Mündener DGB-Vorsitzenden, Wilhelm Schumann, und von Landrat Fritz Michalski, die beide mit knapper Not als Verfolgte der NS-Diktatur dem Tode entkommen waren, beim Aufbau des DGB, wurde Mitglied der SPD und brannte darauf, nun endlich sein Leben in Freiheit und eigener Verantwortung gestalten zu können

Otto- Heinrich Kühner, einer der Dichter jener Nachkriegsjahre, wie Albert Fiege ein Überlebender des Jahrgangs 1921, verheiratet mit der bekannten Schriftstellerin Christine Brückner und lange Jahre in Kassel lebend, vermittelt uns mit einem seiner Gedichte aus jener Zeit einen Eindruck von dem schweren Schicksal, das Albert Fiege und seinen Kameraden ohne eigene Schuld auferlegt war. Es trägt - unter Anspielung auf den berühmten Jahrhundertwein jenes Jahres - den Titel:

Jahrgang 1921

Der Jahrgang ist unter allen Lesen
Ein ganz besonderer gewesen, Aus Rüdesheim, St.Goar am Rhein
Von Mosel, Nahe, Neckar und Main
Und noch von vielen südlichen Orten
Er ist sehr rar und kostbar geworden,
Denn er war bald verbraucht , wie der Wein
Bei Stalingrad, Narvik und El Alamein

Albert Fiege, zählte zu den raren Überlebenden des Jahrgangs 1921, von denen Otto-Heinrich Kühner hier spricht. Und er wurde mir und vielen anderen ein kostbarer Freund.

Von dieser Freundschaft möchte ich hier stellvertretend für alle seine Freunde sprechen.
Zu dieser Freundschaft gehörte für mich stets Albert Fieges Elternhaus in Glashütte,ein Fachwerkhaus mit großem Garten, mit Scheune und Stall über der Weser am Rande des Bramwaldes gelegen, der Mittelpunkt seiner großen Familie mit seiner unvergessenen Ehefrau Ruth,die das Haus zum Jugendparadies ihrer 5 Kinder, für Enkel und Urenkel machte.

Freunde, die Albert Fiege in seinem Haus besuchten,waren stets gebannt vom Blick auf das weite Tal mit seinen Wiesen, Äckern und seinen im Herbst bunten Buchenwäldern, die den Weserstrom und der „ Weser blitzende Wellen“ umrahmten. Eine idyllische, fast vollkommene, weite Flusslandschaft, die Franz von Dingelstedt und Gustav Pressel in ihrem „Weserlied“ in Text und Melodie so unvergänglich eingefangen haben, die unseren Heimatmaler Alfred Hesse immer wieder zu seinen schönsten Landschaftsbildern anregte.

Doch täuscht sich, wer nun etwa meint, Albert Fiege hätte sich an diesem wunderbaren Platz allein von romantischen oder lyrischen Empfindungen bestimmen lassen. Denn Albert war ein leidenschaftlicher und zugleich nüchtern- kluger „ homo politicus“, ein engagierter Sozialdemokrat und Gewerkschaftler, der sein ganzes Leben lang geprägt blieb durch seine Kindheit auf dem Dorf, von Jugend auf vertraut mit dem Hemelner Platt, mit der oft schweren Arbeit auf dem Lande, aber ebenso auch mit den fröhlichen dörflichen Festen. So kannten und schätzten ihn seine Nachbarn, die Menschen in Glashütte, in Bursfelde, in Hemeln und in den anderen Dörfern, die heute gemeinsam die Stadt Hann.Münden bilden. Und deshalb vertrauten sie ihm auch als Abgeordneten und wählten ihn immer wieder in seine politischen Ämter. Er blieb im besten Sinne des Wortes einer der Ihren. Sie erkannten sich in seiner Bodenständigkeit wieder und sie waren stolz auf ihn, vor allem als er dann zum Bürgermeister unserer Stadt gewählt und zu unserem Ehrenbürger berufen wurde.

Diese Verwurzelung in der örtlichen Gemeinschaft in Glashütte, Bursfelde und Hemeln durch Geburt, durch Kindheit, Sprache, Schulzeit und Jugend, seine Liebe zur Natur, sowie sein handwerkliches Geschick bestimmten sein Wesen, sein Denken und Handeln.

Viele Jahre hindurch machte er im Sommer seine 20 Raummeter Brennholz im Bramwald für seinen Kachelofen, holte es mit dem Porschetrecker selbst nach Hause und die von ihm zum Trocknen aufgeschichteten Holzvorräte vor seiner Scheune, nötigten uns stets Bewunderung ab. Albert Fiege verfügte damals trotz seines im Krieg verlorenen rechten Beins noch immer über Bärenkräfte und liebte das Holzspalten und Holzhacken ebenso wie das stundenlange Forellenangeln in der von der Klosterkammer gepachteten Nieme. Unvergessen auch die jährlichen Reisen im Freundeskreis zum Angeln in Nord- und Ostsee, nach Dänemark und Schweden. Oder der von ihm vollendet gebeizte Gravad Lachs, mit dem er uns beglückte, die legendären Platten bei der Bewirtung mit selbst Geangelten oder Geschlachtetem, dem von Wolfgang beigesteuerten Wildschweinbraten, mit Ruths vollendeten Marmeladen aus Früchten des eigenen Gartens, oder die gemeinsam mit seinem Freund und Nachbarn, Peter Herbort, betriebene Forellenaufzucht.

Die Weite des großen Fensters in seinem Wohnzimmer in Glashütte mit dem freien Blick ins Wesertal stand zugleich symbolisch für seinen weitgespannten Freundeskreis und für die Offenheit seines politischen Denkens, dem jeder einengende Nationalismus oder eine versponnene Heimattümelei fremd war. Dies alles fügt sich zum Bild jener bedeutenden und beeindruckenden Persönlichkeit, zu der Albert Fiege in langer politischer Verantwortung in fast fünf Jahrzehnten heranwuchs. Zusammen mit Gustav Henkelmann und Dr. Heinz Strack zählen wir ihn zu den großen Bürgermeistern von Hannoversch Münden.

Zum Schluss soll Albert Fiege noch einmal selbst im Originalton zu Wort kommen mit einer der für ihn so typischen praktischen - auch heute höchst aktuellen - Empfehlungen an die Fraktionen im Rat der Stadt Münden. Anlässlich des Empfangs der Stadt zum 70. Geburtstag ihres Bürgermeisters am 6. August 1991 im unteren Rathaussaal mahnte er, die Zusammenarbeit der Parteien im Rat der Stadt zu pflegen und sagte wörtlich: "Die politisch andere Meinung und die Gegner im Rat sind das Salz in der Suppe der Kommunalpolitik. Geht miteinander tolerant um und achtet darauf, dass aus dem Salz niemals politische Salzsäure wird. Dazu habe ich in meinem politischen Leben und in meinem Amt als Bürgermeister immer das Meinige beigetragen!“

Wir verneigen uns heute in dieser Stunde des Abschieds vor ihm in großem Respekt für seine Lebensleistung, für die ihn seine Stadt mit dem Ehrenbürgerrecht ausgezeichnet hat. Ich spreche diesen Dank auch aus im Namen von Ministerpräsident Stefan Weil, unseres Bundestagsabgeordneten Thomas Oppermann, von Landrat Bernhard Reuter, von Ronald Schminke, im Namen der Stadt Hann. Münden und von Bürgermeister Harald Wegener, der heute zu seinem Bedauern wegen einer Unpässlichkeit kurzfristig absagen musste.

Zugleich haben mich einige Mitglieder der Rates gebeten, die lange mit Albert Fiege in entscheidender Position zusammenwirkten, heute auch für sie zu sprechen und ihm in ihrem Namen zu danken: Brigitte Slaby, Dr. Peter Herbort, Günther Hestler und Wolfgang Senff. Diesen Dank spreche ich ebenfalls aus im Namen der Arbeitsgemeinschaft 60 Plus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands für Armin Hoffarth und Manfred Wesemann.

In ihrer aller Namen rufe ich Albert Fiege zu: Lebe wohl, lieber Bürgermeister! Lebe wohl, Du unvergessener Freund.

Hann. Münden 11. August 2016

Wikipedia-Artikel über das Leben und Wirken von Albert Fiege